Ballspielverein gegen Fußballclub

Es sollte wohl das entscheidendste Spiel unseres Jahrtausends werden. Ein Spiel das mit Superlativen nicht geizte. Der 23 Spiele in Folge ungeschlagene und amtierende Meister, der Ballspielverein Borussia aus Dortmund gegen den neunfachen Seriensieger und Rekordmeister aus der bayrischen Landeshauptstadt. Das Duell der Bundesliga, im größten Stadion Deutschlands, ausgestattet mit dem größten Stehplatzbereich Europas.

Die Schwarzgelben aus der rot-weißen Stadt, gegen die Rotweißen aus der schwarz-güldenen Stadt. Die Vorentscheidung um die deutsche Meisterschaft sollte gefällt werden. Dieses Spektakel wollten sich zwei Reiselustige aus Dresden nicht entgehen lassen. Um 11.00 startete der Journey am Neustädter Stadtteilbahnhof, eingesackt wurden noch zwei Reisende, die auf dem Weg nach Münster waren.

 

Wer außer dem Meister höchstpersönlich wäre gut genug gewesen, diesen Roadtrip musikalisch zu untermalen! Und so säuselte Robert Allen Zimmerman von wirbelstürmischen Boxern, sich ändernden Zeiten und rollenden Steinen. Ohne Probleme, mit „Hurricane“ in der Dauerschleife und bei bestem Wetter erreichten wir die als „Antifa Area“ ausgeschildete Stadt im Norden Lüdenscheids.

 

Während der Überfahrt hatten der Royseleiter und unsere Begleiterin festgestellt, dass jener mit dem halben Ensemble des Theaters in Trier Tanz studierte und jene dort kassiere. Die Welt sei doch ein Dorf, das Trierer Publikum bieder, die Aufführungen prüde und überhaupt die Darsteller schlecht. Freunde? Dennoch war Mensch sich in Freude einig, auf kultivierter Ebene Konversation treiben zu können. Als wir schließlich offenbarten, zum Fußball zu fahren und dafür Vorlesungen schwänzten sowie Urlaub nahmen, geriet die Welt aus den Fugen und der Himmel verdunkelte sich schlagartig.

 

Der Begleiter frohlockte, er wölle ebenfalls der abendlichen Begegnung beiwohnen. Satan schien Hiob erneut ins Unglück stürzen zu wollen und sie fragte rhetorisch, wie lange so ein Spiel gehe, was es koste, dass auf der Welt Kinder sterben und Fußball das letzte wäre, was heute Abend auf dem Programme stehe. Die Stimmung blieb dennoch reizend, vor allem weil sie kräftig mithalf des Royseleiters Hip-Hop-Gelüste zu überstimmen.

 

Gegen 17.00 erreichten wir den Parkplatz des Westfalenstadions, nachdem wir die Begleiter am Hauptbahnhof aus der Folter entließen, getankt und im ortsansässigen Netto die verhasste Brause für die Rückfahrt erstanden hatten. Für 6 Euro suchten wir Zuflucht auf überwachtem Parkplatz und hofften nun die Rote Erde inspizieren zu können.

 

Das Vorhaben war aber zum Scheitern verurteilt. Da das umzäunte Stadion als VIP-Parkplatz genutzt wurde. Im Eröffnungsspiel standen sich am 6. Juni 1926 übrigens eine Dortmunder Stadtauswahl und der FC Wacker München gegenüber. Der BVB hatte nämlich in den Vorkiegsjahren nicht wirklich eine tolle Fußballmannschaft, so eine hatte aber der FC Schalke, für den höchstpersönlich der rote Teppich ausgerollt wurde und die Knappen bestritten vor über 30.000 Zuschauern mehrere Endrundenspiele um die Deutsche Fußballmeisterschaft im Stadion Rote Erde.

 

Am 30. Spieltag der Bundesligasaison 2011/2012, also knapp 86 Jahre später, standen sich im benachbarten Westfalenstadion zwei Weltauswahlen gegenüber, bei deren Aufeinandertreffen es um nicht weniger gehen sollte, als um die Wachablösung im deutschen Fußball. Obwohl dieses Spiel als Spitzenpartie ausgewiesen war, war von ehrlicher Rivalität nichts zu spüren. BVB und Bayern Fans torkelten in gemütlicher Eintracht zum Stadion. Kein Geplänkel, kein Scharmützel. Wähnten wir uns wirklich beim Fußball? Wo ist denn der Hass? Da ist er ja! Ein materialisiertes Milchbubenklischee schritt herbei und verkündete via Megafon den Ausbau der Strecke Gelsenkirchen – Auschwitz, zum Leidwesen seiner fand er jedoch keine Nachahmer. Einschreiten wollte aber auch niemand!

 

Nachdem wir die Atmosphäre rund um das eckige Rund aufgesogen hatten, begaben wir uns endlich in die Arena. Wir kundschafteten ausgiebig alle Ecken aus und nutzten die Nachlässigkeit des Ordnungsdienstes um uns schließlich auf der Haupttribüne und im VIP-Bereich wiederzufinden. Als die Goldfüße der Nation das heilige Grün betraten, standen wir an vorderster Front. Irgendwas mit Deutscher Meister schallte es von der Südtribüne, die Gäste konterten mit: „In Europa kennt euch keine Sau!!“.

Nachdem wir zu unserem Leidwesen herausfanden, dass im gesamten Areal der Erwerb von flüssigen und festen Nahrungsmitteln nur bargeldlos, mit einer entsprechenden Karte möglich war und sicherlich bleiben wird, fällt das kulinarische Urteil leider aus. Obwohl man den Stadiondöner gerne einer Probe unterzogen hätte.

 

Als das Spiel endlich begann, musste leider enttäuscht festgestellt werden, dass außer ein paar Fahnen, wenigen Kassenrollen und vereinzelten Wunderkerzen, nicht viel von der Südtribüne geboten wurde. Die Bayern zündelten ein wenig. Dem BVB-Fan zählt ein Spiel gegen den FC Bayern nicht mehr als Höhepunkt. Diese werden mittlerweile im vorbeigehen geschlagen. Die Konzentration lag aller Wahrscheinlichkeit nach schon auf dem Derby gegen den FC Schalke 04.

 

Dementsprechend dann auch 77 Minuten lang mittelprächtige Stimmung mit den üblichen Bundesligagoodies. Auf dem Spielfeld brannten die Kloppos hingegen zunächst ein Feuerwerk ab und überrannten die Bayern. Doch keine der sich bietenden Großchancen konnte genutzt werden.

 

Nach der Halbzeitpause verflachte die Partie. Die Bayern fanden kein Weg durch das schwarz-gelbe Bollwerk und die Dortmunder stellten sich im Angriff zu unentschlossen an. Vor allem Kuba schaffte es auf Rechtsaußen immer wieder gekonnt das Tempo aus dem Spiel zu nehmen und den Ball entgegen allem klugen Ratschlags lieber im 1:1 an den Gegner zu verlieren, als zurück auf den freien Gündogan zu spielen.

 

In der 77. Minute zeigte sich die neue „Qualität“ des FC Bayern. Statt Bayern-Dusel wurde in Arjen Robben das Bayern-Dussel geboren. Zunächst hob er das Abseits auf, in dem sich Robert Lewandowski beim 1:0 befunden hätte, um dann über die eigenen Fußeln zu stolpern, was der Schiedsrichter zwar noch mit Elfmeter belohnte, den Dussel-Arjen aber natürlich verschoss. Zu guter letzt versemmelte der tragische Antiheld des Abends die 100%ige. Subotic hatte den Ball an die eigene Latte verlängert, von da aus schien der Ball wie an einem magischen Faden gezogen direkt auf Robbens Klebe zu fallen, doch der drosch das Leder in den Dortmunder Nachthimmel.

 

Nach dem Führungstreffer jedenfalls Ekstase pur. Die letzten 15 Minuten zeigte die Südtribüne endlich, dass sie Stimmung kann. Fast 25.000 Corpora waberten wellenförmig zur Langstrumpfmelodie durch den überdimensionalen Stehrang. Ein entrückender und beängstigender Anblick zugleich.

 

Dann der bereits erwähnte Elfmeterpfiff und das blanke Entsetzen. Doch dank des Bayern-Dussels gab’s die zweite Euphoriewelle und die dritte Bierdusche. Die letzten Minuten entschädigten für die magere zweite Hälfte und die ewig anmutende Torarmut.

 

Der BVB darf aller Wahrscheinlichkeit nach ab nächste Saison zwei Sterne über dem Emblem tragen und die Bundesliga als Deutscher Meister erneut in der Champions League blamieren. Und wenn Marco Reus erst dazu stößt, werden die Borussen auf Jahrzehnte lang unschlagbar sein!

 

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