We never knew what friends we had, until we came to Leningrad

Der diesjährige Urlaub sollte uns zur wohl hübschesten Devuschka im Ostblock führen, und zwar ging es nach St. Petersburg; oder Petrograd, wie SWE sagen würde. Natürlich wurde auf den ausgetretenen Touristenpfaden gewandelt, den Spuren der ZarInnen, Gogol, Puschkin oder Dostojewski gefolgt, doch ab und zu genehmigte man sich auch Seitenblicke, die dem gemeinen Touri-Hopper verborgen bleiben. Bereits der erste Tag nach unserer Ankunft wurde dazu genutzt, meinen zwei Lieblingsbeschäftigungen an einem Samstag nachzugehen, Flohmarkt und unterklassiger Fußball.

Der Udelnaja-Flohmarkt an der gleichnamigen Metrostation bietet allerlei Krimskrams, doch nach einigem Suchen gelang es mir, meinen heimischen Linsenpark um zwei Perlen sowjetischer Objektivbaukunst zu erweitern. Außerdem erwarb ich eine Kamera des Typs Kiev 60, so dass ich die Welt nun auch im Mittelformat festhalten kann. Perfektionieren konnte diesen Sonnabend nur noch ein zünftiges Fußballspiel, und zu meinem Glück wurde an diesem Tage das Achtelfinale des Stadtpokals von St.Petersburg ausgetragen.

 

Der heimische FK Piter kann nicht unbedingt eine große Tradition aufweisen, feierte er doch erst in diesem Jahr seinen ersten Geburtstag. Doch auch der gegnerische Verein existiert erst seit 2010. Dieses Phänomen begegnet einem in Russland bzw. im Ostblock immer wieder, Fußball scheint hier auch ohne langjährige Vereinskonstrukte zu funktionieren. Es läuft nicht, finanziell sieht's scheiße aus, der Präsident nervt; egal, wir machen 'nen neuen Verein auf, wenn's dann nicht klappt, wird halt nochmal ein neuer Verein gegründet.

 

Die einzig wirkliche Konstante im St.Petersburger Fußball scheint Zenit St.Petersburg zu sein, deren Traditionslinie man tatsächlich ohne Auflösungen bis ins Jahr 1925 zurückverfolgen kann. Die eigentliche zweite Kraft, Dinamo St. Petersburg, wurde mehrmals aufgelöst und wieder neugegründet, heute läuft man in der dritten Liga unter dem Firmennamen „FK Petrotrest“ auf und trägt einen albernen Bauhelm, der auf einem Fußball sitzt, im Wappen. Aber egal, ich hab' schon immer gesagt, die Retortenvereine von heute sind die Traditionsvereine von morgen. Oder andersrum.

 

Der FK Piter versteht sich als Ausbildungsverein, der junge, hoffnungsvolle Talente an den Profifußball heranführen möchte. Um seinen Spielern so viel wie möglich Spielpraxis zu ermöglichen, läuft man in mehreren Ligen gleichzeitig auf, zum Beispiel in der höchsten russischen Amateurliga (4.Liga) sowie in der Stadtliga St.Petersburg und damit auch im Stadtpokal. In diesem ging es heute gegen den FK Vasileostrovets um den Einzug ins Viertelfinale. Der Kontrahent aus dem gleichnamigen Stadtteil hat derweil keinerlei leistungssportlichen Anspruch, so dass der Gastgeber als Favorit in die Partie ging.

 

Das Stadion Sdjusschor liegt inmitten eines Wohngebiets und ist somit auch recht schwer zu finden, es bietet auch abgesehen von einer netten dreistufigen Tribüne in den Landesfarben Russlands keinerlei Highlights. Den etwa 30 Zuschauern wurde auf dem Kunstrasen indes ein recht flotter Kick geboten, bei dem der FK Piter einige hochkarätigen Chancen versiebte, die Gäste aber mit großem Kampf zu gefallen wussten. Am Ende reichte es aber für einen ungefährdeten Sieg für den Club mit den großen Ambitionen.

 

Auffällig und zum Fremdschämen war, dass den Gästetrainer keiner seiner Spieler ernst zu nehmen schien, seine Anweisungen auf der Taktiktafel wurden ignoriert, bei seiner Ansprache wurde dazwischengeredet und nach dem Spiel musste er sogar den Ballsack in die Kabine schleppen. Armer Kerl...

 

ФК ПИТЕР – ФК Василеостровец 2-0

(FK Piter – FK Vasileostrovets)

 

In den Tagen danach hatten wir ordentlich Stress, alle Sehenswürdigkeiten in und um der ehemaligen Hauptstadt zu besuchen, glücklicherweise blieb noch Zeit, ein weiteres Spiel anzuschauen. Unweit des Petrowsky-Stadions, der aktuellen Heimspielstätte von Meister Zenit, gibt es noch einen kleinen Artificial-Turf-Ground namens Baltika-Stadion, auf dem der Verein mit dem etwas merkwürdigen Namen „Trevis i VVK“ St. Petersburg seine Heimspiele austrägt. Diesen Verein gibt es immerhin seit 2008 und scheint wohl der Firmenclub einer gleichnamigen Elektronikfirma zu sein. Seit der Gründung konnte man immerhin zweimal die Stadtmeisterschaft gewinnen und auch in der Amateurliga einige Erfolge feiern, denn ebenfalls wie der FK Piter tritt auch „Trevis i VVK“ in mehreren Ligen gleichzeitig an.

 

Kolpino ist mit mehr als 130.000 Einwohnern eine recht große Stadt unweit von St.Petersburg, deren bester Fußballverein aber nur in der Stadtliga von St.Petersburg antritt und dort auch nicht unbedingt Bäume ausreißt. Um den Mangel an sportlichem Erfolg auszugleichen, hat man eine junge Truppe im Schlepptau, die sich dem allgemeinen Ultra-Wahn nicht entziehen kann und wenigstens abseits des Platzes für etwas Aufmerksamkeit sorgt. Die Jungs und Mädels kamen zwar erst zur Halbzeitpause, hatten aber einiges an Pyromaterialien dabei, die sie mit dem Wiederanpfiff abfackelten. Da lag ihr Verein freilich schon mit 0-4 im Rückstand, so richtig interessierte das aber nicht, immer wieder wurde mal was angestimmt oder Rauch gezündet.

 

Auf dem Platz passierte indes nicht mehr viel, der Tabellenführer spielte das Ding locker runter, während Inkon um Schadensbegrezung bemüht war. Alles in allem ein netter Sommerkick in lustiger Atmosphäre vor etwa 30 Zuschauern. Fußball auf Stadtebene ist in St.Petersburg auf jeden Fall einen Besuch wert.

 

ФК "Тревис и ВВК" - ФК „Инкон“ Колпино 6-1

(FK Trevis i VVK – FK Inkon Kolpino) 

StGermain

 

First Impressions of Earth:

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Kommentare: 1
  • #1

    Kappa (Donnerstag, 19 Juli 2012 19:56)

    Achtelfinale des Stadtpokals von St.Petersburg...very nice