Auf Abwegen

Ich stehe auf einem grossen Supermarkt-Parkplatz umgeben von grauen Häuserfronten. Vor mir steht eine Busladung Fans und vernichtet in schneller Folge mehrere Dosenbiere. Daneben stehen auf einem Camping-Tischchen in einer Parkbucht große Mengen an mitgebrachtem Blätterteiggebäck. Um mich herum werden die letzten, auch inoffizellen, Parkmöglichkeiten in Beschlag genommen. Es weht ein Hauch von Grillgut über den Parkplatz. Man stimmt sich auf die EM-Qualifikation gegen Schweden ein. Slowenien ist - insbesondere ob der relativ bescheidenen Größe des Landes – eine beachtliche Sportnation. Ob Mannschafts- oder Individualsport, das Land mit seinen knapp 2 Millionen EinwohnerInnen produziert reichlich SpitzensportlerInnen.


Der Mannschaftssport im Land ist dabei ungleich verteilt: National übergreifend „ernst“ ist vielleicht nur Basketball, als Erbe der gemeinsamen Zeit in Jugoslawien. Fussball wird vor allem in Maribor und Ljubljana gelebt, ansonsten nimmt man ihn, insbesondere die heimische Liga, eher nebenbei wahr. Es ist schön sich darüber in der Kneipe zu unterhalten, aber es ist nicht „ernst“. „Richtig ernst“ ist es dafür sowohl im Eishockey im regionalen Kontext. In den Ortschaften rund um Ljubljana und Jesenice als auch im Handball rund um Celje. Dort werden diese Sportarten gelebt, denn hier werden ganze Generationen von Spielern, Trainern und Fans ausgebildet. Hier hat jeder ein profundes Fachwissen, weil er selbst oder jemand aus seiner engeren Familie den Sport wahrscheinlich professionel betreibt oder betrieben hat. Hier findet man quasi das Wohnzimmer dieser Sportarten.


Und so stehe ich auf besagten Supermarkt-Parkplatz in Celje und bewundere das Treiben um mich herum, dass sich um einen Sport dreht, welcher der Autor dieser Zeilen in längst vergessenen Zeiten selbst einmal für den sehr bescheidenen Ruhm der Schulmannschaft ausgeübt hat. Seither hat er kein einziges Profispiel dieser Sportart mehr live verfolgt. Aber nun winkt die geschäftigste aller Begleitungen bereits mit den gerade beschafften Tickets, und wir bahnen uns dem Weg in die Zlatorog Arena, der Heimstätte von RK Celje, dem lokalen Erstliga-Club und EHF-Champions-League-Sieger von 2003/04. Auf dem Weg werden mir eine Reihe von Leuten gezeigt, die entweder Trainer oder Spieler der Nationalmannschaft oder unterschiedlicher Clubmannschaften waren/sind. Stars zum Anfassen, auch wenn dies bei mir nur innerliches Schulterzucken auslöst – ich könnte nicht mal deutsche Handball-Stars identifizieren.


Die Halle ist eine typische Mehrzweck-Arena mit knapp 5.500 Plätzen, von denen heute knapp 4.000 besetzt sind. Wir sitzen, auch für uns überraschend, direkt an der Ersatzbank in der ersten Reihe mitten unter den Angehörigen der Spieler – für 10€ Einheitspreis, also direkt dabei, was bei der Besten aller Begleitungen helle Freude auslöst. Mir dagegen steigt der Geruch von Schweiss, Linolium und Leder in die Nase, eine Mischung, die mir in Erinnerung ruft, warum Freiluftsport doch Vorzüge besitzt und außerdem für mehr ungewollte Flashbacks aus dem Schulsport sorgt. Wir verfolgen von diesen Plätzen aus das für den Gastgeber wichtige Spiel für die Qualifikation zur EM 2016 in Polen. Da die Slowenen das Hinspiel in Schweden verloren haben (und den anderen beiden Gruppengegnern kaum Chancen eingeräumt werden), ist ein Sieg heute Pflicht um die Chance auf einen direkten Einzug in die Hauptrunde offen zu halten.


Dabei nimmt der Spielverlauf allerdings von Anfang an eine andere Richtung: Wie schon im Hinspiel enteilen die Gäste schnell mit 4 Toren und die Gastgeber hecheln diesem Rückstand (erfolglos) hinterher. Trotzdem bleibt die Stimmung in der Halle gut. Es gibt einen ziemlich großen und lauten Fanblock und daneben zeigt sich der Unmut des Publikums lediglich durch unbilliges Murmeln bei besonders misslungenen Aktionen – Kenner eben. Zum Pausentee liegen die Gäste weiter vorn und die Augen des slowenischen Trainers versprühen mehr als Verachtung bzgl. der Leistung der eigenen Spieler. Allein dafür hatten sich die Plätze in der ersten Reihe schon gelohnt.


Für den geneigten Fan gibt es zur Pause auch gleich die nächste Überraschung - welche auch die Parkplatz-Szene erklärt –, denn in der Halle gibt es keinen Getränke- und Speisenverkauf. Wer etwas trinken will, muss die Halle komplett verlassen und die Stände davor nutzen und dann – selbstredend ohne Getränk – wieder durch die Sicherheitskontrolle. Bei einer Pause von knapp 10 Minuten eine reife Leistung, die nicht viele Fans auf sich nehmen. Die zweite Hälfe wartete mit einem sportlichen Schmankerl auf. War die (angebliche) Enttäuschung der weiblichen Begleitung zuerst doch groß, da wir nun die schwedischen Nationalspieler vor der Nase hatten, durfte man nun zum Ausgleich das Mienenspiel des schwedischen Trainers bewundern, der ziemlich fassungslos mitansehen musste, wie seiner Mannschaft das Spiel aus der Hand glitt.


Nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich peitschte das Publikum die Heimmannschaft frenetisch nach vorne. Ergebnis war sogar eine zwischenzeitliche Führung der Hausherren, bevor man am eigenen Mut scheiterte und sich am Ende mit einem Unentschieden begnügen musste. Vom Spielverlauf ein gefühlter Sieg – für die direkte Qualifikation in Polen benötigt man nun Punkte aus den letzten Spielen, um sich als Gruppenzweiter ebenfalls direkt zu qualifizieren. Fazit: Nette Abwechslung für die fussballfreie Zeit, aber Handball und ich werden in diesem Leben keine echten Freunde mehr.

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